211
ob man wirklich meinen könnte, es sei die Schnellpost nicht genug Zu-
geständnis für die Reisesucht einer ruhelosen Menschheit. Erst als man
hörte, daß wagehalsige Menschen im Königreiche Sachsen eine Eisenbahn
zwischen Leipzig und Dresden bauten, da siegte auch im konservativen
Berlin die Neuerungssucht über die Besonnenheit. In der letzten Hälfte
der dreißiger Jahre erklärte sich auch die Regierung für überwunden. Sie
gestattete den Bau einer Eisenbahn von Berlin bis--------------Potsdam.
„Wo das hinaus soll?" Die Geheimräte zuckten die Achseln und
schüttelten die Köpfe. „Lieber Kollege," sagte einer aus. dem Finanz-
ministerium zu seinem Freunde im Ministerium des Innern, „das kann
kein gutes Ende nehmen! Da graben sie und graben sie und wollen bei
Schöneberg durch den Berg unter der Erde durch. Es ist schrecklich!"
„Ja," sagte der Kollege, „das geht wider alle Ordnung. Die Fuhrleute
werden alle aufsässig. Die Pferdezucht wird ruiniert. Das ist alles Dampf,
nichts als Dampf!" „Meine Herren," erlaubte sich ein Postrat zu be-
merken, „das kann keinen Bestand haben. Ich wohne in der Leipziger
Straße und sehe, wie morgens bei schönem Wetter und hauptsächlich in
der Rosenzeit höchstens sechs bis acht Fuhrwerke hinaus nach Potsdam
und der Pfaueninsel fahren. Nun aber bauen sie Wagen, worin dreißig
Personen Platz haben, und sie wollen an sechsmal des Tages damit hinaus"
fahren. Was sollen wir Berliner denn alle Tage sechsmal in Potsdam
machen?"
Die Frage war unlösbar und noch unlösbarer die Frage, wie es
bei solcher Reisesucht mit den Pässen werden solle. — Aber der Zeit-
geist, der böse Zeitgeist hatte in Berlin die Menschheit erfaßt, und — da
war kein Halten mehr!
Im Herbst 1838 war die Hälfte der Eisenbahn bis Zehlendorf
fertig. Eine Probefahrt fand statt, und nicht bloß der Polizeipräsident,
sondern auch zwei Minister ließen sich herab, der Einladung des Direk-
toriums zu folgen und die Reise bis Zehlendorf mitzumachen. Auch die
Schriftsteller wurden mit einer Einladung beehrt, damit die öffentliche Meinung
für das große Unternehmen gewonnen werde. Die öffentliche Meinung
Berlins aber war dazumal der ehrwürdige Ludwig Rellstab braven An-
gedenkens. Und er fuhr mit und fällte sein Urteil in einem ausführlichen
Berichte in der Vossischen Zeitung, die dazumal den Geist aller guten
Berliner beherrschte und lenkte.
Über die erschreckende Geschwindigkeit dieses Probezuges — er fuhr
in kaum einer Stunde richtig bis nach Zehlendorf, während der heutige
Schnellzug dazu gerade sechzehn Minuten gebraucht — wußte der Bericht
die öffentliche Meinung zu beruhigen. Im Wagen merke man die rasende
Geschwindigkeit gar nicht. Selbst den Tunnel bei Schöneberg passiere
der Zug, ohne daß die Damen — es waren auch solche eingeladen -
aufgeschrien hätten. Nur wenn man hinausblicke, werde man ein wenig
schwindlig; aber die Berliner seien nicht so nervenschwach und würden sich
auch daran mit der Zeit gewöhnen. Um aber den nervenstarken Berlinern
ein richtiges Bild von dem Eindrücke dieser Schnelligkeit zu geben, ver-
14*
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T3: [Stadt Schloß Straße Berlin Kirche Haus Gebäude Platz Garten Universität]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T8: [König Paris Regierung Minister Parlament Volk Frankreich Kammer Mitglied Verfassung], T10: [Stadt Berlin Hamburg Elbe Einw. Magdeburg Stettin Festung Lübeck Provinz]]
TM Hauptwörter (200): [T12: [Wagen Wasser Stein Rad Fuß Maschine Pferd Bewegung Hand Schiff], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T110: [Tag Jahr Stunde Nacht Monat Uhr Zeit Winter Sommer Juni], T25: [Stadt Schloß Straße Garten Berg Dorf Nähe Park Ufer Haus], T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute]]
Extrahierte Personennamen: Ludwig_Rellstab Ludwig
Extrahierte Ortsnamen: Sachsen Leipzig Dresden Berlin Berlin Schöneberg Berg Potsdam Potsdam Berlin Zehlendorf Zehlendorf Berlins Zehlendorf Schöneberg
267
Bezirksvereins in £. Dieser ersucht die Stadtverordneten, dahin wirken zu
wollen, daß die Dr.-Straße noch im kaufe dieses Jahres asphaltiert werde.
Herr F. macht die Eingabe zur seinigen, worauf diese den zuständigen Aus-
schüssen zur weiteren Behandlung überwiesen wird.
Sodann macht der Vorsteher das Kollegium darauf aufmerksam, daß auf
der Tagesordnung der nächsten Sitzung, welche bereits am 28./Y. stattfinde, die
Wahl eines besoldeten Rats Mitgliedes stehe. Im Hinblick
auf die Wichtigkeit dieses Gegenstandes sei das Erscheinen aller Stadtverordneten
dringend erwünscht.
Ferner teilt der Vorsitzende mit, es sei ein Ratsschreiben eingegangen,
betreffend die diesjährigen Stadtverordnetenwahlen. Diese
würden in der Woche vom \2. bis yi. November stattfinden. Das Kollegium
werde in einer seiner nächsten Sitzungen in den betreffenden Wahlausschuß
\2 Herren zu wählen haben, und zwar h Stadtverordnete und 8 Herren aus
der Bürgerschaft.
t. Der erste Punkt der Tagesordnung betrifft die Errichtung eines
städtischen Brausebades. Den Bericht über die Ratsvorlage erstattet in
eingehender weise Herr Stadtverordneter L. Er beantragt im Aufträge des
Bauausfchusses, den Rat zu ersuchen, statt der geplanten \2 Zellen deren *5
Herrichten zu lasten, die Aus- und Ankleideräume entsprechend zu vermehren,
für die einmalige Benutzung des Brausebades für eine Person nur yo pfg. statt
;5 pfg. erheben zu lassen, die Besoldung für den Wärter auf uoo Mark, für
die Wartefrau auf 800 Mark festzusetzen und im übrigen die Ratsvorlage,
welche einen Aufwand von 26 280,75 Mark erfordert, zu genehmigen. Das
Kollegium tritt nach längerer Aussprache diesen Anträgen bei.
2. Das Kollegium faßt einstimmig den Beschluß, das Gesuch des Allge-
meinen Turnvereins zu L. wegen leihweiser unentgeltlicher Überlassung des
freien Platzes zwischen der A.- und M.-Straße zur Errichtung einer
Turnhalle und zur Herstellung eines Turnplatzes auf die Dauer von
25 Jahren zu genehmigen und den Rat um dessen Zustimmung zu ersuchen.
Der Berichterstatter, Herr vr. med. T., führt aus, daß der genannte Verein
nicht ausreichende Mittel besitze, um einen für seine Bedürfnisse geeigneten
Platz käuflich zu erwerben. Der wert gymnastischer Übungen für die Jugend
sei in neuester Zeit zur vollen Anerkennung gekommen. Mit Hilfe des Turnens
solle unser Geschlecht zu Kraft, Gesundheit, Ausdauer und Gemeinsinn erzogen
werden. Man habe auch die Wahrnehmung gemacht, daß sich die Turnerschaft
von einseitigen Parieibestrebungen fernhalte und daß sie treu zu Kaiser und
Reich, zu König und Vaterland stehe. Der Allgemeine Turnverein ver-
folge einen gemeinnützigen Zweck und verdiene daher, von der Stadt unter-
stützt zu werden. Der betreffende Platz sei vor der äußeren Ostvorstadt gelegen,
und an eine Parzellierung desselben zu Bauplätzen könne wohl für lange Zeit
noch nicht gedacht werden. Der Allgemeine Turnverein habe dem Kollegium
auch bereits die Bau- und kagepläne der Turnhalle, eines Wirtschaftsgebäudes
und einiger Nebengebäude eingereicht. Alle diese Bauten würden von dem
genannten verein auf eigene Kosten aufgeführt und nach Ablauf der 25 Jahre
abgebrochen werden, falls die Stadt ihre Genehmigung nicht verlängere. Dem
TM Hauptwörter (50): [T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger], T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst]]
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356
Außerdem ist aber noch ein Vorteil der Annahme dieses Gesetzes: gerade
die Stärke, die wir erstreben, stimmt uns selbst notwendig friedfertig. Mit dsr
gewaltigen Maschine, zu der wir das deutsche Heerwesen ausbilden, unternimmt
man keinen Angriff.
Ich bin nicht für irgendwelchen Angriffskrieg, und wenn der Krieg nur
durch unfern Angriff entstehen könnte — Feuer muß von jemand angelegt
werden — wir werden es nicht anlegen.
Also — wenn ich mich resümieren soll — ich glaube nicht an eine un-
mittelbar bevorstehende Friedensstörung und bitte, daß Sie das vorliegende
Gesetz unabhängig von diesem Gedanken und dieser Befürchtung behandeln,
lediglich als eine volle Herstellung der Verwendbarkeit der gewaltigen Kraft,
die Gott in die deutsche Nation gelegt hat für den Fall, daß wir sie brauchen;
brauchen wir sie nicht, dann werden wir sie nicht rufen; wir suchen den Fall
zu vermeiden, daß wir sie rufen.
Dieses Bestreben wird uns noch immer einigermaßen erschwert durch
drohende Zeitungsartikel vom Auslande. Man sollte das unterlassen, dann
würde man es uns leichter machen, unsern beiden Nachbarn auch gefälliger
entgegenzukommen. wir können durch Liebe und Wohlwollen leicht bestochen
werden — vielleicht zu leicht —, aber durch Drohungen ganz gewiß nicht!
(Bravo I) wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in
der Welt (lebhaftes Bravo); und die Gottesfurcht ist es schon, die uns der,
Frieden lieben und pflegen läßt.
wer ihn aber trotzdem bricht, der wird sich überzeugen, daß die kampfes-
freudige Vaterlandsliebe, welche *8*3 die gesamte Bevölkerung des damals
schwachen, kleinen und ausgesogenen Preußen unter die Fahnen rief, heutzutage
ein Gemeingut der ganzen deutschen Nation ist, und daß derjenige, welcher die
deutsche Nation irgendwie angreift, sie einheitlich gewaffnet finden wird und
jeden Wehrmann mit dem festen Glauben im Kerzen: Gott wird mit uns sein!
(Lebhafter, andauernder Beifall.)
Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Freiherr von und zu
Frankenstein.
Abgeordneter Freiherr von und zu Franken st ein: Im eignen Namen
und im Namen meiner politischen Freunde stelle ich den Antrag, das eben zur
Beratung stehende Anleihegesetz an die Budgetkonnnisfion zur Vorberatung zu
verweisen, um daselbst die nötigen und möglichen Aufschlüsse zu erhalten.
Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Helldorf.
Abg. von Helldorf: Meine Herren, ich würde es für unrecht halten,
dem Gehörten ein anderes Wort hinzuzufügen als das des Ausdruckes der vollen
Übereinstimmung mit den Vorschlägen, die der Herr Vorredner gemacht hat,
und den Ausdruck des Vertrauens, daß die vorgeschlagenen Maßnahmen von
unserer Staatsleitung rechtzeitig uns empfohlen werden. . . . (Bravo I)
Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vr. von Bennigsen.
Abg. I)r. von Bennigsen: Ls sind gewiß nicht lange Reden, welcke
man in diesem Augenblicke von den Vertretern der deutschen Nation im Reiche
tag erwartet. Das aber kann unser Volk verlangen, daß wir in einträchtigem
Zusammenwirken mit den verbündeten Regierungen und in voller Unterstützung
TM Hauptwörter (50): [T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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358
Präsident: Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Berichterstatter.
Berichter st atter Freiherr von Maltzahn-Gültz: Das von
den beiden Herren Rednern aus dem Hause vorgeschlagene Verfahren würde in
voller Übereinstimmung mit dem Verhalten der Kommission stehen, welche fast
sämtliche Beschlüffe zu diesem Gesetze einstimmig gefaßt hat. (Bravo!)
Präsident: Meine Herren, Sie haben den Antrag gehört, den der Herr
Abgeordnete Freiherr von und zu Frankenstein gestellt und den der Herr Ab-
geordnete Or. von Bennigsen unterstützt hat, dahingehend, den vorliegenden
Gesetzentwurf nach Maßgabe der Kommissionsbeschlüsse in zweiter Beratung
en bloc anzunehmen. Es kann diesem Antrag nur Folge gegeben werden,
wenn von keiner Seite demselben widersprochen wird. Ich frage, ob Widerspruch
erhoben wird. (Pause.)
Das geschieht nicht. Ich stelle daher hiermit fest, daß der vorliegende Ge-
setzentwurf nach den Kommissionsbeschlüssen die Annahme des Reichstags gefunden
hat. (Lebhafter Beifall.) — Meine Herren, damit ist die Tagesordnung erledigt.
Ich schlage Ihnen vor, die nächste Sitzung morgen \ Uhr abzuhalten mit
folgender Tagesordnung:
t. Mündliche Berichte der Kommission für die Geschäftsordnung über die
Fortdauer der Mandate der Abgeordneten Saro, Br. von Heydebrand, Lasa
und Weyrauch (Nr. 63, 98 der Drucksachen).
2. Zweite Beratung des von den Abgeordneten Graf von Behr, Br. von
Bennigsen und von Helldorf eingebrachten Gesetzentwurfs, betreffend Änderung
des Artikels 24 der Reichsverfassung (Nr. 29 der Drucksachen).
z. Berichte der Wahlprüfungskommission über die Wahl der Abgeordneten
von Dertzen (Parchim), Llauß, von Funcke, Panse, Richter und Henneberg.
Gegen diese Tagesordnung wird Widerspruch nicht erhoben; sie ist an-
genommen. Ich schließe die Sitzung.
(Schluß der Sitzung 3 Uhr s5 Minuten.) Nach dem stenographischen Berichte.
Uns aber und Unseren Nachfolgern an der Kaiser-
krone wolle Gott verleihen, allzeit Mehrer des Deutschen
Reichs zu fein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern
an den Gütern und Gaben des Friedens auf dem Gebiete
nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung. Wilhelm l.
152. Von Freiheit und Vaterland.
Es sind elende und kalte Klügler aufgestanden in diesen
Tagen, die sprechen in der Nichtigkeit ihrer Herzen:
,Vaterland und Freiheit, leere Namen ohne Sinn, schöne
Klänge, womit man die Einfältigen betört! Wo es dem Menschen
wohlgeht, da ist sein Vaterland; wo er am wenigsten geplagt
wird, da blüht seine Freiheit.“
Diese sind wie die dummen Tiere nur auf den Bauch und
seine Gelüste gerichtet und vernehmen nichts von dem Wehen
des himmlischen Geistes.
TM Hauptwörter (50): [T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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Extrahierte Personennamen: Maltzahn-Gültz Weyrauch Funcke Henneberg Wilhelm
144
setzt, nachdem die Verhandlungen, die über diese Aufstellung geführt worden
waren, volle elf Jahre gewährt hatten. Unter den vielfachen Be-
denken und Erörterungen, die dagegen erhoben und gepflogen wurden, fiel
ein Widerspruch des damaligen Nachbarn der königlichen Fabrik, des
Kammerherrn von der Recke, schwer ins Gewicht, welcher die „Feuer-
maschine" als in hohem Grade gefährlich für Gesundheit und Leben der
Anwohner bezeichnete, und nur den außerordentlich regen Bemühungen
des Finanzrats Grafen v. Reden war es zu danken, daß die Aufstellung
der Maschine durchgesetzt wurde.
Interessant ist der unter dem 13. August 1799 erstattete Bericht
des damaligen Oberaufsichtsbeamten der Porzellanmanufaktur, des Staats-
ministers Freiherrn von Heinitz, an den König; derselbe lautet:
Die mit schlesischen Steinkohlen in Gang gebrachte Feuermaschine
bei der Porzellan-Manufaktur, von deren Erbauung ich bereits vor-
läufig untertänigst Anzeige gemacht habe, ist nun vollständig errichtet,
und es werden dadurch 10 Pferde erspart. Sie bewegt 12 Stampfen
und 11 liegende und einen stehenden Mühlstein, dazu eine große kupferne
Scheibe für die Porzellanschleiferei. Außerdem hebt sie alles Wasser,
dessen sie teils selbst zum Verdainpfen und Niederschlagen der Dämpfe,
teils die ganze Wasch- und Schlämmereianstalt bedarf, aus einem 40
Fuß tiefen Brunnen. Sie ist die erste ihrer Art, von kleinem Umfange
und großer Wirkung, durchaus ein inländisches Produkt, auf den ober-
schlesischen Eisenwerken Ew. Majestät durch den sehr geschickten
Maschinisten Bailton verfertigt und nun hier errichtet. Sie verdient,
von Ew. Majestät und Höchstdero Kgl. Frau Gemahlin besehen zu werden.
Geruhen daher Ew. Majestät den Tag und die Stunde hierzu
gnädigst zu besümmen.
(Gez.) von Heinitz.
Obgleich dieser Feuermaschine die volle Anerkennung der Kgl. Majestäten
zuteil wurde, hatte der Versuch, den Maschinenbau auf heimischem Boden
zu pflegen, zunächst weiter keinen Erfolg. Erst geraume Zeit später ist
ein zweiter derartiger Versuch in Berlin gemacht worden. Ein junger
Mechaniker baute eine Maschine, die ebenfalls bei der Kgl. Porzellan-
Manufaktur Verwendung fand. Auch sie genoß die Ehre, vom König
besichtigt zu werden. Der junge Erbauer ließ sich in Gegenwart des
hohen Herrn und seines Gefolges zu dem stolzen Ausrufe hinreißen:
„Jetzt haben wir die Engländer in der Tasche!" Doch auch mit diesem
Versuche gelang es nicht, daß unser deutsches Gold ferner nicht mehr in
die Tasche des Engländers wanderte. Der Maschinenbau blieb nach wie
vor das Vorrecht Englands.
Erst als F- A. Egells vor dem Oranienburger Tore seine „Neue
Berliner Eisengießerei" gegründet hatte, erfolgte eine neue Wendung der
Dinge auf diesem Gebiete. Denn in die Egellssche Fabrik trat der junge
Zimmermann August Borsig ein, der spätere Begründer der neuen deutschen
Eisenindustrie. Nach Göbel u Schroot.
TM Hauptwörter (50): [T19: [Wasser Luft Eisen Körper Silber Gold Kupfer Metall Stein Erde], T29: [Handel Industrie Land Ackerbau Fabrik Stadt Deutschland Mill Viehzucht Gewerbe], T12: [König Paris Jahr Napoleon General Frankreich Mann Tag Kaiser Minister]]
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TM Hauptwörter (200): [T52: [Arbeiter Arbeit Zeit Betrieb Jahr Fabrik Maschine Staat Preis Kapital], T65: [König Herr Soldat Offizier Vater Prinz Friedrich Majestät General Brief], T12: [Wagen Wasser Stein Rad Fuß Maschine Pferd Bewegung Hand Schiff], T35: [König Bismarck Wilhelm Kaiser General Minister Stein Berlin Graf Moltke], T124: [Wasser Luft Sauerstoff Körper Stoff Kohlensäure Teil Feuer Pflanze Kalk]]
Extrahierte Personennamen: August Heinitz Heinitz Zimmermann August
357
der Friedenspolitik, die uns bereits seit dein Jahre \87 ^ den Frieden gesichert
hat und welche die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat, daß auch künftig der
Friede erhalten wird — daß wir in Übereinstimmung und Unterstützung dieser
Politik alles aufbieten, was möglich ist, um unter Heranziehung aller der
Wehrkraft, welche wir in Deutschland besitzen, uns stark zu machen zur Er-
haltung des Friedens und, wenn ein Äußerstes eintritt, zur raschen Wieder-
herstellung desselben. (Bravo I)
Präsident: Das Wort hat der perr Abgeordnete Graf von Behr-
Behrenhoff.
Abg. Graf von Behr-Behrenhoff: Meine perren, ich kann nur
namens meiner politischen Freunde erklären, daß wir uns den Ausführungen
der perren Vorredner anschließen.
Präsident: Der perr Abgeordnete Rickert hat das Wort.
Abg. Rickert: Meine perren, auch ich schließe mich dem Antrage an,
die Vorlage an die Budgetkommission zu verweisen. . . . Meine perren, wir
werden dieser Vorlage zustimmen in dem Sinne, daß wir der Zuversicht leben,
damit die Friedenspolitik der deutschen Regierung zu unterstützen. (Lebhafter
Beifall.)
Präsident: Das Wort wird nicht mehr verlangt; die Diskussion ist
geschloffen.
Es ist beantragt worden, die Vorlage an die Budgetkommission zu ver-
weisen. Mit Ihrer Genehmigung darf ich ohne besondere Abstimmung feststellen,
daß das paus diesem Antrage beigetreten ist.
wir gehen über zum zweiten Gegenstände der Tagesordnung: Zweite
Beratung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend Ände-
rungen der Wehrpflicht (Nr. 38 der Drucksachen), auf Grund des
Berichtes der X. Kommission (Nr. 99 der Drucksachen).
Berichterstatter ist perr Abgeordneter Freiherr von Maltzahn-Gültz.
Ich eröffne die Diskussion über Artikel I und erteile zur Geschäftsordnung
das Wort dem Freihsrrn von und zu Frankenstein.
Abg. Freiherr von und zu Franken st ein: Ich stelle nun den
Antrag, das Gesetz, wie es aus der Kommissionsberatung hervorgegangen ist,
en bloc anzunehmen. (Lebhafter Beifall.)
Präsident: Zur Geschäftsordnung hat das Wort der perr Abgeordnete
vr. von Bennigsen.
Abg. Vr. von Bennigsen: perr Präsident, ich bin bereit, auch namens
meiner Freunde, den gestellten Antrag zu unterstützen, namentlich um deswillen,
weil die Grundlage dieses Entwurfs von sämtlichen Parteien des pauses fast
ausnahmslos schon bei der ersten Beratung anerkannt ist. (Lebhafter Beisall.)
Präsident: Der perr Reichskanzler hat das Wort.
Reichskanzler Fürst von Bismarck: Ich kann nur Zeugnis
dafür ablegen, daß die verbündeten Regierungen für ein so entschlossenes und
rasches Entgegenkommen dankbar sein werden und darin nicht nur einen Beweis
des Vertrauens des Reichstages erkennen, sondern auch eine wesentliche Ver-
stärkung, welche diese Vorlage für die Garantien des Friedens haben wird.
(Lebhafter Beifall.)
TM Hauptwörter (50): [T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst]]
TM Hauptwörter (100): [T60: [Preußen Reich Staat Bund Kaiser deutsch Reichstag König Deutschland Regierung], T8: [König Paris Regierung Minister Parlament Volk Frankreich Kammer Mitglied Verfassung], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit]]
TM Hauptwörter (200): [T67: [Preußen Bund Staat König Regierung Deutschland Verfassung Frankfurt Reichstag Bundestag], T7: [Staat Gesetz Verfassung Recht Reichstag Reich König Regierung Volk Verwaltung], T182: [Krieg Jahr Zeit Land Deutschland Regierung Frankreich Volk Folge Revolution]]
Xi. über die uriternchtliche Verwertung der Stoffe.
279
wie andere Familien. Dagegen der Zar? Nach Mitteilungen der Presse er-
scheint er einmal bei der Armee, verteilt Heiligenbilder und reist dann wieder
ab. Beispiele von bewundernswertem Verantwortlichkeitsgefühl der Führer
und der Mannschaften unseres Heeres und unserer Flotte gibt es in großer
Fülle; so das Telegramm des Rommandanten aus Tsingtau: „Einstehe für
Pflichterfüllung bis aufs Äußerste."
Ein vorbildliches Beispiel für das Gefühl der Mitverantwortlichkeit
haben ferner die Mitglieder des Reichstags bekundet. Der 4. August
wird in der Geschichte des Reichstags immer ein Ehrentag sein. Der partei-
streit, der oft die Gemüter erhitzt hatte, schwieg, das Vaterland stand höher
als die Partei. Alle Parteien bewilligten die Rredite und zeigten durch die
Einmütigkeit der Beschlüsse, daß die Spekulation unserer Feinde auf innere
Uneinigkeit verfehlt war. wer von den Abgeordneten hätte auch vor seinen
Wählern die Verantwortung für die Folgen einer Verweigerung der Rredite
tragen wollen! Es ist gar nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn auch
nur eine Partei sich ihrer Pflicht gegen das Vaterland nicht bewußt gewesen
wäre. Das Gefühl der Mitverantwortlichkeit für die Geschicke des Reiches hat
die Abgeordneten bei ihren Entschließungen geleitet, und deshalb haben
sie so gehandelt, wie ihre Wähler, wie das deutsche Volk, dessen Vertreter
sie sich mit Stolz nennen dürfen, es erwartet haben. — Der Verlauf dieser
Tagung wird noch lange Zeit für die staatsbürgerlichen Belehrungen über
den Reichstag, die Wahlen, die Abgeordneten, die Entstehung und Ausführung
der Gesetze usw. den besten Ausgangspunkt bilden; sie zeigt nicht nur in der
denkbar besten weise, welche Verantwortung die Volksvertreter mit ihrenr
Mandat übernehmen, sondern auch, welche Verantwortung die Wähler bei
Abgabe ihrer Stimme haben.
Die in den beiden Tagungen des Reichstags und der Sitzung des
preußischen Landtags angenommenen Gesetze übertragen den Regierungen
eine Fülle von Vollmachten. Mit weichern Verantwortlichkeitsgefühl und
mit welchem Erfolge sie davon Gebrauch gemacht haben, zeigen viele Bei-
spiele aus denabhandlungen unter Iv, V, Viii und ganz besonders aus Viiiz.
Von dem gleichen Gefühl der Verantwortlichkeit haben sich die Ge-
meindeverwaltungen leiten lassen; kaum eine ihrer Sitzungen ist ver-
gangen, ohne daß wichtige Beschlüsse gefaßt worden wären, deren Zweck
die Verhütung oder die Beseitigung von Rotständen war, die der Rrieg im
Gefolge hat.
Dieses starke Verantwortlichkeitsgefühl der Beamten im Staat
und in den Gemeinden sowie der Bürger, die in den Organen der Selbst-
verwaltung tätig sind, ist unser Stolz und soll es immer bleiben. Von unsern
Schülern rücken viele in Beamtenstellungen ein; sie haben mit dafür zu sorgen,
daß der aus dem Gefühl der Verantwortlichkeit erwachsende Geist treuer
Pflichterfüllung unserm Volke erhalten bleibe.
wie stark dieser Geist der Mitverantwortlichkeit das ganze Volk durch-
drungen hat, zeigt die hervorragende freiwillige Betätigung besonders
auch der Frauen auf allen Gebieten der Rriegsfürsorge, wie in der Ab-
handlung „Rrieqshilfe" ausführlich gezeigt ist.
* 3 J ' Geo rg ~ E ck 3rt-1 nstitut
für internationale
Schulbuchicrschung
Braunschweifl
Schu Ibuchblbllolhek
TM Hauptwörter (50): [T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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pani Rahrbach
*6
schützen. Seitdem aber haben die Dokumentenfunde im Archiv des General-
stabs in Brüssel bewiesen, daß die belgische Neutralität nur ein erlogener
Vorwand für den Entschluß Englands zum Kriege war und daß schon seit
Zähren ein Kriegsbündnis gegen Deutschland zwischen England, Frankreich
und Belgien verabredet war. Außerdem ist in der Folge durch eidliche Be-
kundung festgestellt, daß bereits einige Tage vor der Kriegserklärung franzö-
sische nxobile Truppen in Belgien ausgenommen waren und zum Vormarsch
gegen Deutschland bereit standen.
D. Die Reichstagssitzung.
Am Abend des ersten August flog auf allen Telegraphendrähten der
Befehl zur Mobilmachung durch das Deutsche Reich' drei Tage später ver-
sammelte sich der Reichstag, der von der Regierung einberufen worden war,
mrt die notwendigen Kriegsvorlagen zu genehnrigen. Die Schilderung der
Vorgänge an diesem Tage entnehmen wir einer sehr empfehlenswerten
Schrift: „Die Wahrheit über den Krieg"*). Sie ist von einer größeren
Anzahl deutscher Politiker und Schriftsteller gemeinsam verfaßt, enthält unter
anderem auch eine Sammlung der wichtigsten Aktenstücke über den Ausbruch
des Krieges und berichtet über die denkwürdigen Vorgänge am August
wie folgt:
„Am Tage von Sxichern und Weißenburg hielt die deutsche Volks-
vertretung eine Sitzung von historischer Bedeutung ab, würdig des großen
Moments zu Beginn des Weltkrieges. Trotz aller Schwierigkeiten in der
Beförderung der Abgeordneten waren über Zoo (von 397) erschienen,
und wer nicht durchkommen konnte, entschuldigte sich. Bereits am 3. August
hatte der Reichskanzler die Führer aller Parteien zu sich gebeten; als er in
markigen ernster: Worten zeigte, in welch frivoler Weise Deutschland in den
Krieg getrieben worden ist, stand die einstimmige Annahme der Kriegsvorlage
schon fest. Am Nachmittag dieses Tages gaben alle Reichsäinter im Reichs-
tagsgebäude Auskunft über die Vorlagen. Zn diesen Besprechungen drang
schon der große Zug durch, der am Dienstag die Welt überraschte und das
Volk hoch aufjubeln ließ: sein Reichstag stellte sich würdig in die Reihen der
großen Organisationen unserer Wehrmacht.
Der Tag der Reichstagseröffnung vereinigte Abgeordnete, Offiziere
und Beamte zuerst im Gotteshaus und dann im Königlichen Schloß so zahl-
reich wie nie zuvor. Die feierliche Eröffnung zeigte schon den kriegerischen
Ernst; der Kaiser in schmuckloser Felduniform ohne den üblichen höfischen
vortritt; nur Minister und höchste Offiziere geleiteten den Kaiser zun: Throne,
von wo er bedeckten Hauptes die Thronrede verlas, an manchen Stellen
seine Bewegung schwer meisternd. Zahlreiche Beifallskundgebungen unter-
brachen den kaiserlichen Redner wiederholt, und zum Schlüsse donnerte ein
Bravo durch den Weißen Saal, wie nie seit seiner Erbauung. Da kam die
*) Verlag <§. S. mittler & Sohn in Berlin. 2. Anfinge, preis 25 pfg.
TM Hauptwörter (50): [T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst], T34: [Krieg Frankreich England Deutschland Preußen Frieden Rußland Napoleon Kaiser Jahr], T3: [Stadt Schloß Straße Berlin Kirche Haus Gebäude Platz Garten Universität]]
TM Hauptwörter (100): [T60: [Preußen Reich Staat Bund Kaiser deutsch Reichstag König Deutschland Regierung], T8: [König Paris Regierung Minister Parlament Volk Frankreich Kammer Mitglied Verfassung], T32: [Tag Jahr Monat Mai Juli März Juni April Ende Oktober], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T9: [Krieg Deutschland Reich Frankreich Preußen Macht Zeit Kaiser Jahr Frieden]]
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Extrahierte Personennamen: August August August Ernst
Extrahierte Ortsnamen: Brüssel Englands Deutschland England Frankreich Belgien Belgien Deutschland Deutsche_Reich Weißenburg Deutschland Berlin
I. Der Krieg
erste Überraschung: der Kaiser legt die Thronrede weg und spricht frei: er-
kennt jetzt nur Deutsche ohne Unterschied des Standes, der Partei und der
Konfession, und darum fordert er die Vorsitzenden der Fraktionen auf, ihm
dies Gelöbnis für „Not und Tod" in die pand abzulegen. Ganz und gar
unzeremoniell, kein Minister wußte etwas hiervon: aber rührend und er-
greifend die spontane Huldigung. Kaum ist sie beendigt, so stimmt der Reichs-
tag — ebenso unzeremoniell — die Nationalhymne: peil Dir im Sieger-
kranz! an, und das puldigungslied der Treue rauscht durch den Saal, der
sonst höfischen Festen dient. Die ganze Welt hätte Zeuge dieser einzigartigen
Handlung sein müssen. Unter stets sich wiederholendem purra verließ der
Kaiser den Saal, nachdem er den: Generalstabschef und dem Reichskanzler
die pand gedrückt hatte.
Tine Stunde später war iur Reichstage die erste Sitzung; einige und rasche
Arbeit hatte der Kaiser erbeten. Und er sollte sich nicht täuschen: keine langen
Geschäftsordnungsformalien, einmütig wurde das seitherige Präsidium
wiedergewählt, das am Schlüsse der Frühjahrssession sein Tnde gefunden
hatte. Dies war der Auftakt zum schnellen handeln. Vor überfülltem pause
entwickelt der Reichskanzler die Bemühungen der Regierung um Aufrecht-
erhaltung des Friedens, klar und wahr; er gibt die Tatsachen nackt wieder,
die Rußlands Treulosigkeit so wichtig in Erscheinung treten lassen und recht-
fertigt den uns aufgenötigten Verteidigungskrieg, wie schon in der Thron-
rede, so fällt auch hier kein verletzendes Wort gegen eine Nation, auch nicht
gegen den Feind. Der Kanzler spricht mit eiserner Wucht, und wie er in den
Saal ruft, daß das ganze Volk einig sei, das ganze Volk, da duldet es die
Abgeordneten nicht mehr auf den Sitzen; sie springen auf und klatschen in
die pände; auch die Sozialdemokraten erheben sich, erst einige, dann werden
alle mit emxorgerissen: Bundesrat, Reichstag, Presse, Diplomatie, Tri-
bünen; sie alle klatschen, ob dieser eisernen Geschlossenheit. „Das Volk steht
auf, der Sturm bricht los." Pier war ein Ausschnitt aus unserer Volksstim-
mung zu sehen. Der Präsident rügt nicht das in der Geschäftsordnung ver-
botene Klatschen; er selbst wird nun der einzige Dolmetsch des pauses und
verkündet dessen einmütige Zustimmung. Kein anderer Redner, keine
Debatte, wozu Worte, wo jetzt Taten sprechen sollen.
Nach einer kurzen Pause beginnt die geschäftliche Sitzung: ^6 Kriegs-
vorlagen sind eingegangen. An der Spitze steht die Forderung der Kriegs-
kredite in pöhe von fünf Milliarden Mark: eine stolze Summe des Opfermuts
ohne Grenzen. Der Führer der Sozialdemokratie gibt eine Erklärung ab,
worin er die Zustimmung seiner Partei rechtfertigt gegenüber der vorher
ablehnenden paltung gegen die Forderungen von Peer und Flotte. Keine
andere Partei hat etwas zu sagen. Zn Sturmeseile werden alle Vorlagen
ohne Debatte angenommen. Nach 5 Uhr ist der Reichstag schon vertagt,
seine Mitglieder reisten andern Tags schon mit Militärzügen in die peimat
zurück, zu melden, was die Volksvertretung an einem Tage geschaffen hat.
Um ? Uhr dankt der Kaiser dem Reichstagspräsidium für diese nationale
Urbeit; in später Abendstunde noch werden alle Gesetze publiziert — dem
Volke zur Beruhigung, zur Freude, zürn Stolz.
Staatsbürger!. Belehrungen in der Kriegszeit. „
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Ed. Heilfron
2. weitere Folgen können durch besondere Anordnung gelegentlich
der Erklärung des Kriegszustandes oder späterhin herbeigeführt werden.
a) Es können nämlich einzelne der sogenannten Grundrechte (oben
Ala lc), insbesondere die Gewährleistung der persönlichen Freiheit und der
Unverletzlichkeit der Wohnung, sowie der Preß-, Vereins- und Versamm-
lungsfreiheit (Prvu. Art. 5, 6, 27—30, 36) außer Kraft gesetzt werden.
Geschieht dies (vgl. für Berlin z. B. unten b), so kann der Militär-
befehlshaber durch das Militär oder die ihm unterstellte Polizei jedermann
ohne weitere Begründung verhaften lassen, zu jeder Tages- und Nachtzeit
Haussuchungen vornehmen, jeden Verein auflösen, jede Versammlung ver-
bieten oder von seiner Genehmigung abhängig machen, auch in den Ge-
schäftsbetrieb eingreifen, wenn dies im öffentlichen Interesse erforderlich
ist; er kann z. B. ein Geschäft schließen, wenn darin wucherische Preise für
Lebensmittel verlangt werden.
d) Es können ferner unter Aufhebung des Art. 7 Prvu. Kriegs-
gerichte zur Aburteilung der verbrechen des Hoch- und Landesverrats,
Mordes, Aufruhrs, der tätlichen Widersetzung, der Zerstörung von Be-
förderungsmitteln und ähnlicher gemeingefährlicher Straftaten eingerichtet
werden. Diese (mit den für die Militärpersonen in Friedens- und Kriegs-
zeiten errichteten Kriegsgerichten nicht zu verwechselnden) Ausnahmegerichte
haben dann die Gerichtsbarkeit an Stelle der „ordentlichen" Strafgerichte
(Schwurgerichte, Strafkammern, Schöffengerichte) über die nicht zu den
Militärpersonen gehörenden Bürger. Diese Kriegsgerichte bestehen aus
fünf Mitgliedern (davon zwei Richter und drei Offiziere). Gegen ihre Urteile
findet kein Rechtsmittel statt; sie werden vielmehr binnen 2<\ Stunden nach
der Urteilsverkündigung vollstreckt, Todesstrafen aber erst nach Bestätigung
durch den Militärbefehlshaber (nicht, wie in Friedenszeiten, durch den
Landesherrn)*).
*) Das preußische Gesetz über den Belagerungszustand vom 4. Juni J85j
enthält außer den oben besprochenen Vorschriften über die Verkündung und die Wir-
kungen des Kriegs-(oder Belagerungs-fzustandes (Übergang der vollziehenden Gewalt
auf den Militärbefehlshaber, Zulässigkeit der Außerkraftsetzung gewisser Grundrechte,
Einsetzung von Kriegsgerichten) auch Strafvorschriften, die neben den Bestimmungen
des Strafgesetzbuchs, des Militärstrafgesetzbuchs und des Militärverratsgesetzes anwend-
bar bleiben, nämlich:
§ 8. wer in einem in Belagerungszustand erklärten Orte oder Distrikte der
vorsätzlichen Brandstiftung, der vorsätzlichen Verursachung einer Überschwemmung
oder des Angriffs oder des Widerstandes gegen die bewaffnete Macht oder Abgeordnete
der Zivil- oder Militärbehörde in offener Gewalt und mit Waffen oder gefährlichen
Werkzeugen versehen sich schuldig macht, wird mit dem Tode bestraft. Sind mildernde
Umstände vorhanden, so kann, statt der Todesstrafe, auf zehn- bis zwanzigjährige
Zuchthausstrafe erkannt werden (teilweise übernommen imlgstgb. § 4, oben d 1)-
§ 9. wer in einem in Belagerungszustand erklärten Orte oder Distrikte
a) in Beziehung auf die Zahl, die Marschrichtung oder angeblichen Siege der
Feinde oder Aufrührer wissentlich falsche Gerüchte ausstreut oder verbreitet,
welche geeignet sind, die Zivil- oder Militärbehörden hinsichtlich ihrer Maß-
regeln irrezuführen, oder
t>) ein bei Erklärung des Belagerungszustandes oder während desselben vom
Militärbefehlshaber im Interesse der öffentlichen Sicherheit erlassenes ver-
bot Übertritt oder zu solcher Übertretung auffordert oder anreizt oder
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